Zuhause auf der Straße
Tagesspiegel | Gunda Bartels
Heimelig war mal: Die Fotoschau „Make it Home“ in der Kommunalen Galerie Berlin
Irgendwo in diesem mit Asphalt und Beton versiegelten Niemandsland der Mehrzweckwürfel, Parkplätze und Straßen leben Menschen. Zu sehen sind sie nicht, doch, wenn man so genau hinschaut, wie das die Berliner Fotografin Andy Heller getan hat, entdeckt man ihre Spuren.
Ein paar Kissen und eine Decke, die tagsüber wie Müll am Straßenrand liegen, verwandeln sich nachts in die Schlafstätte eines Obdachlosen. Und ein Metallpfeiler, dessen vertikale Verstrebungen mit Pappe verkleidet sind, dient als Schrankersatz für die Habseligkeiten einer Person.
„CA 94103“ ist der Titel eine analog fotografierten Serie, die Heller in einem Viertel von San Francisco fotografiert hat, das von einem Autobahnkreuz dominiert wird. Selbst ein urbaner Unort wie dieser, der nur für Gewerbenutzung und Kurzaufenthalte zu taugen scheint, nutzen Menschen als Behausung.
Angesichts zerfallender Lebensräume, politischer und ökonomischer Umwälzungen und weltweiter Flüchtlingsströme, blickt die sieben Künstlerinnen und Künstler vereinende Fotoausstellung „Make ist Home“ in der Kommunalen Galerie Berlin auf den Begriff des Zuhauses und die Suche danach.
Den „Prozess des Sich-Beheimatens“ nennen die Kuratoren Andy Heller und Oliver Krebs das. Die beiden sind als Mitbetreiber der einstigen Produzentengalerie Loris in der Potsdamer Straße geübte Ausstellungsmacher.
Krebs, der über den Umweg der Malerei zur künstlerischen Fotografie gekommen ist, zeigt die Serie „Golden Record“. Sie ist von der Datenplatte der Voyager-Mission inspiriert, mit der die Nasa 115 repräsentative Bilder von der Erde auf die Reise zu etwaigen außerirdischen Intelligenzen schickte. Krebs betont dagegen die Subjektive eigener Wahrnehmung.
Er abstrahiert Plätze, Menschen, Hunde, Häuser, in dem er sie in nächtliches Dunkel taucht oder als Landschaftsausschnitt durch den Rahmen eines Autofensters aufnimmt. Stärker als dem Licht vertraut Krebs dem Schatten, was die Motive verrätselt und die Welt jeder Heimeligkeit entkleidet.
Alec Soth fotografiert in der Pandemie mit Iphone und Fernglas
Den befremdeten Blick auf das Bekannte teilt er mit dem Magnum-Fotografen Alec Soth, dem Potsdamer Göran Gnaudschun und dem in Finnland lebenden Künstlerpaar Minna Raino & Mark Roberts. Letztere verbinden in ihrem Kurzfilm „They Came in Crowded Boats and Trains“ die Geschichte von Flüchtlingen im Zweiten Weltkrieg mit der von irakischen Flüchtlingen, die 2015 über dieselbe Grenze nach Finnland kommen. In der Form eines Reanactments, dass das universelle Drama des Heimatverlusts und Neufangs plastisch erzählt.
Gnaudschun wiederum porträtiert in „Are you happy“ urbane Hässlichkei und ihren trotzigen Bewohner an der südlichen Peripherie von Rom. Alec Soth, die mit Iphone und Fernglas aus größtmöglicher sozialer Distanz während der Pandemie fotografieren Einwohner und Ecken von Minneapolis. Immer wieder erstaunt, wie wenig die menschengemachte Zivilisation am Wohl des Menschen interessiert zu sein scheint, wie wenig Schutz und Rückhalt die tristen Orte bieten. Sich hier zu beheimaten, muss Arbeit sein.
Umso erfreuter fällt der Blick auf die Minifernseher, die überall in der Ausstellung als Running Gag herumstehen. In Juliane Zelwies‘ witziger Videoinstallation „Stubenhocker“ kann man lichtscheue Tiere beobachten, die mal vorwitzig, aber meist vorsichtig wittern aus ihrem Bau schauen. Murmeltier, Erdmännchen, Sumpfmangusten, die lieber nesten als sich den Gefahren der Außenwelt auszusetzen. Nur ist das auf Dauer weder für Tiere noch für die meisten Menschen eine Option. Genau da beginnt das Drama.
⸻ JOURNAL
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