Signal & Rauschen

Die Fotos von Oliver Krebs erzählen kleine Geschichten über uns und die Welt, und doch fehlt uns oft die Sprache, sie wirklich zu entziffern und zu verstehen.

 

Rezension von Frank Dietschreit

Die Fotos von Oliver Krebs erzählen kleine Geschichten über uns und
die Welt, und doch fehlt uns oft die Sprache, sie wirklich zu
entziffern und zu verstehen.

Eigentlich kommt Oliver Krebs von der Bildenden Kunst: Der jüngst
verstorbene dänische Maler Per Kirkeby und der deutsche Bildhauer Georg
Herold waren seine Lehrer an der Städelschule in Frankfurt am Main und
haben ihn in die Geheimnisse einer zwischen Realität und Abstraktion
angesiedelten Bildersprache eingeweiht. Doch dann entschied sich Oliver
Krebs für die Fotografie und den Film. Er entwarf Image- und
Werbe-Kampagnen, arbeitet bei Kino- und Fernsehproduktionen mit. Jetzt
hat er im Kehrer Verlag einen Fotoband veröffentlicht, der den Titel
„Signal & Rauschen“ trägt.

 

Was macht ein Bild zu einem Bild?

„Signal & Rauschen“ will sagen: Die Kunst genauso wie die
Wahrnehmung und Deutung der Welt ist höchst subjektiv und selektiv. Wir
nehmen ständig irgendwelche Signale wahr, Zeichen, Realitätspartikel,
an die sich unser Auge heftet und die wir zu einem Bild verdichten, das
uns wiederum hilft, uns zu orientieren, hilft, den Raum, die Situation,
die Umwelt zu erkennen und zu verstehen. Wir fragen uns dabei nie, wie
diese Wahrnehmung eigentlich funktioniert, warum wir einzelnen
Bildelemente sehen und andere einfach ausblenden. Wir fragen uns nie,
was ein Bild zu einem Bild macht und welche Rolle einzelne Bildelemente
spielen.

Aber genau das fragt sich Oliver Krebs bzw. das fragen seine Bilder:
Sie heften sich an die Signale, an die Zeichen – ein hastig vorbei
eilender Mensch in der Einkaufspassage, eine in den Bahnhof einrollende
S-Bahn, klapprige Bauzäune, streunende Hunde, verlassene Tankstellen:
Signale und Zeichen, die dann zu Motiven seiner Fotos werden.

Doch die Signale und Zeichen werden überlagert und gestört von
einem permanenten Rauschen, das uns umgibt, von akustischen und
optischen Störungen, von Lichtreflexen, Schattenbildungen,
Spiegelungen, so dass die Motive, die Krebs fotografisch einzufangen und
zu deuten versucht, nie so recht zu fassen sind und ihm – und so auch
uns, den Betrachtern – oft rätselhaft und geheimnisvoll erscheinen.

Vielleicht könnte man seine oft fremdartig erscheinenden Fotos, die
unsere Realität auf eine recht eigenwillige Art und Weise abbilden, als
einen Diskurs über Bildersprache und als eine Philosophie der
Wahrnehmung beschreiben: als einen Versuch über eine Fotografie, die
stark von der abstrakten Malerei beeinflusst ist der uns zum Schauen und
Staunen und Nachdenken anregen könnte.

 

Die Zufälligkeit hat Methode

Oliver Krebs zieht – scheinbar ziel- und absichtslos – durch die
Metropolen der Welt, er läuft durch die Straßen von Berlin und Moskau,
Lissabon und Istanbul, Los Angeles und San Francisco, fährt mit dem
Auto und dem Zug durch öde Landschaften und schießt – scheinbar ganz
beiläufig und nebenher – seine Fotos.

Es wirkt, als würde seine Kamera ein Eigenleben führen und sich
quasi selbst auslösen, denn oft sehen wir nur den von Regenpfützen
bedeckten Fußweg oder die im Schatten liegenden Beine eines Menschen,
einen kleinen Teil eines eingeschneiten Autos, den dunklen Rücken eines
Mannes in einer S-Bahn. Oft schaut er durch verschrammte und
beschlagene Fenster oder durch einen Spalt im Rollo oder Vorhang ins
Innere einer Bar, eines Kaufhauses, einer Bahnhofshalle – und sieht nur
die verzerrten Umrisse, die Spiegelungen und Schatten von Menschen und
Gegenständen.

Die Fotos verraten uns nicht, wo und wann sie gemacht wurden und wer
und was eigentlich genau darauf zu sehen ist. Es ist fast immer dunkel,
fast immer Abend oder Nacht, das Licht ist trüb und diffus – und unsere
Gedanken sind es ebenso: Denn wir Betrachter können die Zeichen und
Signale der Bilder, der scheinbar kein Motive einfangen, sondern
scheinbar nur irgendwelche Situationen zufällig in den Blick nehmen,
nicht recht deuten, wir müssen uns unseren eigenen Reim drauf machen,
was wir hier eigentlich sehen und was für eine Geschichte hinter den
Bildern versteckt sein könnte.

Aber alles, was so ziel- und absichtslos und so zufällig daherkommt,
hat natürlich Methode: Erst, wenn wir genauer hinsehen, merken wir,
wie die Fotos unseren Blick lenken und die Deutung des Gezeigten
manipulieren, indem Krebs bei der Bearbeitung und Nachbehandlung der
Fotos optische Akzente setzt, mit Licht und Farbe spielt: Die Tüten,
die ein Mann, von dem wir nur seine dunklen Beine sehen, da nach Hause
trägt, strahlen in kräftigem Blau, als würde im Inneren der Tüten
eine Lampe leuchten oder atomar verstrahlten Müll enthalten.

Der Pullover eines Mannes, der uns den Rücken zuwendet und der von
einem schwarzen Nichts umgehen ist, leuchtet in blutigem diabolischen
Rot. Die Lichtstrahlen, die den Weg eines durch dunkle Gemäuer eilig
hastenden Menschen zerschneiden, wirken wie gefährliche Hindernissen,
die es zu unter Todesgefahr zu bewältigen gilt. Die Haltegriffe in der
ansonsten stockfinsteren S- Bahn leuchten in einem knalligen Gelb und
wirken wie Wegweisen und letzte Hoffnungsschimmer für den einsamen
Mann, der da ganz allein im Wagon steht und sich traurig und zergrübelt
den Kopf hält.

 

Kleine Geschichten über uns und die Welt

Es gibt zwar ein kleines Vor- und ein kleines Nachwort mit einigen
Hinweisen zu den Absichten und Methoden von Oliver Krebs, aber das
meiste muss man sich als Betrachter doch selbst zusammenreimen.

Auch die Aufteilung in zwei Kapitel ist zwar spannend, aber nicht
wirklich erhellend: Der erste Teil heißt „Signal & Rauschen“, da
stellt Oliver Krebs Zitate aus der Welt der Naturwissenschaft neben
seine Fotos: Alexander von Humboldt spricht über den Entwurf einer
physischen Weltbeschreibung, Charles Darwin über die Entstehung der
Arten, Michael Faraday über Elektrizität, James Clerk Maxwell über
Magnetismus.

Den zweiten Teil nennt er „Golden Record“, damit spielt er auf ein
bizarres Projekt der NASA an, die 115 Bilder ausgewählt und 1977 im
Rahmen der Voyager-Mission ins weite Universum geschickt hat: Auf den
Datenträgern der „Goldenen Platte“, die vielleicht von außerirdischen
Lebewesen gefunden wird, befinden sich Bilder von der Erde und von uns
Menschen, wie wir leben, lieben und arbeiten. Schon die Auswahl dieser
Bilder war schwierig, noch schwieriger wird es für die Aliens wohl
sein, diese Signale und Zeichen bei all dem Rauschen zu erkennen und zu
deuten.

Mit den Fotos von Oliver Krebs ist es ein bisschen wie mit denen der
„Goldenen Platte“: Sie erzählen kleine Geschichten über uns und die
Welt, und doch fehlt uns oft die Sprache, sie wirklich zu entziffern und
zu verstehen.

 

Frank Dietschreit, kulturradio
www.kulturradio.de
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