Land in Sicht

Galerie Loris, Berlin | Diasec | ca. 80×110 cm | Entstanden 2008
26.4.–24.5.2014

Karten sind uns sehr vertraut. Mit unserem Smartphone tragen wir immer welche bei uns, bereit, sie jederzeit und an jedem Ort zu konsultieren. Sie helfen uns, uns zu orientieren und unsere Wege durch Städte und Landschaften zu finden. Dabei vergessen wir schnell, dass Kartografie eng verknüpft ist mit Herrschaftswissen und Macht. Nicht nur politische Karten, die Grenzverläufe markieren und Herrschaftsgebiete aufteilen, sind von machtpolitischer Bedeutung. Auch topografische Karten mit ihren feinen Linien und farbigen Markierungen, die Erhebungen und Gräben Sichtbarkeit verleihen sowie geografische Territorien visuell verorten, fungieren als Herrschafts-instrumente; sie dienen mitunter auch als Werkzeuge der Kriegsführung.
Doch wenn wir den Atlas aufschlagen und das Spiel von Farben und Formen betrachten, können wir leicht dem ästhetischen Reiz der Karten verfallen:

„Die Kartografie sollte endlich zu den poetischen Gattungen und der Atlas selbst zur schönen Literatur gezählt werden, schließlich wird er seiner ursprünglichen Bezeichnung Theatrum orbisterrarum – „Theater der Welt“ mehr als gerecht. Das Konsultieren von Karten kann zwar das Fernweh, das es verursacht, mildern, sogar das Reisen ersetzen, ist aber zugleich weit mehr als eine ästhetische Ersatzbefriedigung. Wer den Atlas aufschlägt, begnügt sich nicht mit dem Aufsuchen einzelner exotischer Orte, sondern will maßlos alles auf einmal – die ganze Welt. Die Sehnsucht wird immer groß sein, größer als die Befriedigung durch das Erreichen des Ersehnten. Ich würde den Atlas heute noch jedem Reiseführer vorziehen.“

Die Loris KünstlerInnen nehmen unter anderen die ästhetischen und politischen Parameter der Kartierung zum Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Erforschung der Kartografie. Es geht da bei um Sichtweisen auf die Welt, um deren Vermessung, um die Verortung und Sichtbarmachung topografischer Parameter sowie um Methoden der Aufzeichnung wie Kartierung, Mapping, Notation. Im Zentrum der Ausstellung Land in Sicht steht eine Gemeinschaftsarbeit, die sich als Collage an der Wand hin zu einer raumbezogenen Installation öffnet. Die Collage bildet eine assoziative Versammlung unterschiedlicher Materialien zum Thema. Sie bleibt unabgeschlossen und greift mit vielen Querverweisen in den Raum. Es werden Vernetzungen und Zusammenhänge hergestellt, die offen sind für vielfältige Betrachtungsweisen. Die Arbeitsweise zeigt, wie heterogen und kontrovers die Bezüge innerhalb der Gruppe der Loris-KünstlerInnen sind, die ihre Sicht auf die Kartografie aus fotografischer Perspektive entwickeln. Land in Sicht eröffnet Einblicke in einen diskursiven künstlerischen Prozess und verleiht aktuellen Arbeitsergebnissen Sichtbarkeit.

Land, ho!

Maps are very familiar to us. With our smart phones we always carry some about with us, ready to be consulted anytime and anywhere. They help us find orientation, our way across city and country. At the same time we forget all too often how cartography is closely intertwined with power-sustaining knowledge. Not only political maps marking borderlines and allocating dominions are of power-political significance. Topographical maps, too, with their finely drawn lines and colorful markings, lending visibility to elevations and rifts as well as locating geographical territories, serve as instruments of power; at times they also serve as tools of warfare. Yet when we open up an atlas and behold the play of colors and shapes we may easily fall for the aesthetic appeal of maps:

“Cartography should finally be numbered among the poetic genres and the atlas itself the belleslettres; after all, it is more than doing justice to its original designation Theatrum orbis terrarum – ‘Theater of the World’. Though the consultation of maps may soothe the very yen for distant places it causes, it is at the same time more than an aesthetic ersatz satisfaction. Those who open up an atlas do not make do merely with visiting individual exotic places, rather, and exorbitantly so, they demand everything at once – the entire world. That longing will always be great, grater than the satisfaction arrived at by reaching the desired. Even today I would prefer the atlas over any travel guide.”

The Loris artists take, among other things, the aesthetic and political parameters of mapping for a starting point of their artistic investigation into cartography. It is all about ways of perceiving the world, its measuring, the localization and visualisation of topographic parameters as well as methods of recording such as mapping or notation.
The centerpiece of the exhibition Land in Sicht is a collective work, a wall-hung collage opening itself towards a spatially oriented installation. The collage has an associative assemblage of different materials for its theme. It remains unfinished and, with many cross references, reaches out into the surrounding space. Cross linkages and connections open to many modes of perception are created. The work method demonstrates the markedly heterogeneous and controversial character of relations within the Loris artists’ group developing their photographic perspective oncartography. Land in Sicht opens up insights into a discursive artistic process and lends visibility to current work results.

Zitat: Judith Schalansky, aus Atlas der abgelegenen Inseln